willischwanke
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furchtlos

Eine Ausstellung über Verletzlichkeit, Stärke und das Sichtbarwerden

Die Arbeit furchtlos ist aus einer intensiven, über mehrere Semester gewachsenen Auseinandersetzung mit der Menschenfotografie im Rahmen meines Fotodesign-Studiums an der IBKK Bochum entstanden. Das Studium vermittelte nicht nur technische und gestalterische Grundlagen, sondern legte einen besonderen Fokus auf konzeptionelles Arbeiten, Bildanalyse und die bewusste Reflexion fotografischer Prozesse. In praktischen Übungen wurde früh deutlich, dass Fotografie mit Menschen weit über das reine Abbilden hinausgeht: Sie ist ein dialogischer Prozess, geprägt von Begegnung, Vertrauen, Verantwortung und gemeinsamer Bildfindung.

Die Auseinandersetzung mit Portrait- und Inszenierungsformen führte über freie Projekte zu ersten Kooperationen mit Models, die sich über Plattformen wie Modelkartei und Fotocommunity ergaben. Diese Erfahrungen erweiterten nicht nur den organisatorischen Handlungsspielraum, sondern vertieften das Verständnis für fotografische Nähe, Kommunikation und emotionale Präsenz vor der Kamera. Aus dieser Entwicklung heraus wurde die Aktfotografie zu einem zentralen Arbeitsfeld – einem Genre, das durch seine Reduktion eine unmittelbare Beziehung zum Körper und seinem Ausdruck ermöglicht.

Künstlerische Positionen wie Francesca Woodman, Man Ray und Helmut Newton prägten meine Wahrnehmung für Körper, Raum und emotionale Bildräume in unterschiedlicher, sich ergänzender Weise.

Francesca Woodmans Arbeiten eröffneten mir einen sensiblen Zugang zur Aktfotografie als Mittel der Selbstbefragung. Ihr Umgang mit dem eigenen Körper, mit Unschärfe, Fragmentierung und dem Verschwinden im Raum macht Verletzlichkeit nicht nur sichtbar, sondern erfahrbar. Der Körper erscheint bei ihr weniger als Objekt denn als Träger innerer Zustände, eingebettet in architektonische Räume, die emotionale Spannung aufnehmen und verstärken. Diese Haltung beeinflusste maßgeblich mein Verständnis von Nacktheit als stiller, poetischer Präsenz.

Man Rays surrealistische Bildsprache hingegen schärfte meinen Blick für die Möglichkeit, den menschlichen Körper aus seiner rein körperlichen Funktion zu lösen und ihn als formales, symbolisches und konzeptuelles Element einzusetzen. Seine Akte bewegen sich zwischen Abstraktion und Sinnlichkeit und zeigen, wie Licht, Fragmentierung und Inszenierung emotionale Bildräume erzeugen können, ohne diese eindeutig festzulegen. Daraus entstand für meine Arbeit ein Bewusstsein für Reduktion und Andeutung als gestalterische Mittel.

Helmut Newton schließlich prägte meine Auseinandersetzung mit Selbstbewusstsein und Macht im Bild. Seine Aktfotografien zeigen Körper als souveräne, oft dominante Erscheinungen, die sich ihrer Wirkung bewusst sind. Nacktheit wird hier nicht als Schutzlosigkeit, sondern als Haltung verstanden – als Ausdruck von Kontrolle, Stärke und Präsenz. Diese Lesart beeinflusste insbesondere die Serie selbstbewusst, in der der Körper nicht zurücktritt, sondern Raum einnimmt.

In der Zusammenführung dieser Positionen entwickelte sich meine eigene Bildsprache zwischen poetischer Verletzlichkeit, konzeptueller Klarheit und selbstbewusster Präsenz. Die Aktfotografie wird dabei zum Ort emotionaler Verdichtung, an dem innere Zustände, körperliche Haltung und räumliche Umgebung miteinander in Beziehung treten.

Der entscheidende Impuls zur thematischen Ausrichtung der Arbeit entstand durch die Anfrage eines Models, sich in einem Shooting ohne ein sonst verborgenes körperliches Hilfsmittel porträtieren zu lassen – ein Element, das im Alltag selbstverständlich integriert ist, im fotografischen Kontext jedoch meist unsichtbar bleibt. Im persönlichen Austausch verdichtete sich ein Spannungsfeld zwischen äußerer Souveränität und innerer Sensibilität, zwischen einem selbstbestimmten Auftreten und einer leisen, spürbaren Verletzlichkeit. Diese Erfahrung wurde zum konzeptionellen Ausgangspunkt der Serie.

furchtlos untersucht die Beziehung von Verletzlichkeit und Selbstbewusstsein nicht als Gegensätze, sondern als miteinander verbundene Zustände menschlicher Präsenz. Für beide Pole wurden Modelle gewählt, deren Erscheinung, Körpersprache und Ausstrahlung diese Haltungen glaubwürdig und differenziert tragen. Die Aktfotografie fungiert dabei als zentrales Ausdrucksmittel: Der nackte Körper erscheint entkleidet von sozialen Markern, Rollenbildern und Schutzschichten. In dieser Offenheit liegt eine besondere Verletzlichkeit – zugleich aber auch die Möglichkeit eines bewussten, selbstbestimmten Sich-Zeigens. Nacktheit wird hier nicht als Provokation verstanden, sondern als Haltung.

Für die fotografische Umsetzung wurde mit dem Lumen in Bochum bewusst ein Ort gewählt, der diese Ambivalenz verstärkt. Als Lost Place mit rauer Struktur, sichtbaren Spuren von Verfall und einem reduzierten, natürlichen Lichteinfall bildet die Umgebung einen atmosphärischen Gegenpol zum lebendigen, sensiblen Körper. Die Architektur tritt nicht in Konkurrenz zur Figur, sondern schärft deren Wahrnehmung.
Accessoires wurden gezielt als visuelle Marker eingesetzt: filigrane clothingart-Kragen für die Serie der Verletzlichkeit, ein Naturseil und ein Elchgeweih für die selbstbewusste Position. Während die Krägen Assoziationen von Zerbrechlichkeit, Melancholie und Schutz evozieren, stehen Seil und Geweih für Kraft, Erdung, Widerstandsfähigkeit und Regeneration. Sie fungieren nicht als dekorative Elemente, sondern als Erweiterung der körperlichen Aussage.

Die entstandenen Fotografien sind intime Studien von Körper und Identität, angesiedelt zwischen Offenlegung und Zurückhaltung. Nicht jede Inszenierung ließ sich erzwingen – einige Versuche scheiterten bewusst. Gerade darin offenbarte sich eine zentrale Erkenntnis der Arbeit: Authentizität entsteht nicht durch Wiederholbarkeit, sondern im Moment der Begegnung. Dieser Prozess des Annäherns, Verwerfens und Neuformulierens spiegelt sich in der Bildsprache ebenso wie in der Entstehungsgeschichte der Serie.

furchtlos ist damit nicht nur eine fotografische Untersuchung, sondern auch ein persönlicher Weg – geprägt von Unterbrechungen, Zweifeln und erneuter Fokussierung. Die Arbeit steht heute als Ergebnis eines langen, entschlossenen Prozesses und als Einladung, Verletzlichkeit und Stärke nicht als Widerspruch, sondern als sich ergänzende Formen menschlicher Präsenz zu betrachten.

Willi Schwanke